600'000 Menschen in der Schweiz pflegen ihre Angehörigen

Die St.Gallerin Rosmarie Rütsche betreut und pflegt ihren Mann rund um die Uhr zuhause, seit bei ihm vor sechs Jahren Demenz diagnostiziert wurde. Erst seit kurzem nutzt sie mit dem Tagesheim Notker in St.Gallen ein Entlastungsangebot für betreuende Angehörige. Wie wichtig solche Unterstützung und die Wertschätzung der geleisteten Arbeit ist, darauf macht der Internationale Tag der betreuenden Angehörigen am 30. Oktober aufmerksam.

(Bild: iStock/jacoblund)

«Am Anfang vergass mein Mann nur Kleinigkeiten»

Es ist das Jahr 2015, als Rosmarie Rütsche bemerkt, dass ihr Mann immer mehr Dinge vergisst. «Das waren zunächst Kleinigkeiten wie etwa, wo er seine Jacke hingetan hatte», sagt die heute 83-jährige St.Gallerin. Der Hausarzt empfiehlt dem Ehepaar, abzuklären, ob eine Demenzerkrankung vorliegt. Das Ergebnis bestätigt die Vermutung. Seither betreut und pflegt Rosmarie Rütsche ihren Mann zuhause alleine rund um die Uhr. «Mit seiner Gesundheit geht es seit etwa zwei Jahren schnell abwärts», sagt sie beim Gespräch im Tagesheim Notker an der St.Galler Rosenbergstrasse. Dieses bietet sowohl tagsüber als auch nachts Betreuung von Menschen im Alter oder mit Demenz nach individuellen Bedürfnissen. Rosmarie Rütsche hat ihren Mann im Sommer 2021 für das Angebot angemeldet. Seither wird der 84-Jährige jeden Mittwoch mit dem Tixi Taxi abgeholt, um den Tag im Tagesheim Notker zu verbringen.

«Mir etwas zu gönnen, gibt mir Kraft»

«Nach all den Jahren wieder etwas Zeit für mich zu haben, bedeutet für mich, geniessen zu können», sagt Rosmarie Rütsche und erzählt von einem ihrer vergangenen freien Tage. Zunächst ging sie in die Sauna, putzte die Fenster ihrer Wohnung und machte anschliessend einen Ausflug ins Brockenhaus. Auch schon ist sie mit dem Zug nach Konstanz gefahren, um dort in einem Restaurant zu essen. «Mir etwas zu gönnen, gibt mir Kraft und Energie», sagt sie.

Ein gewöhnlicher Tag beginnt hingegen damit, dass sie morgens ihren Mann weckt, ihm beim Aufstehen, der Morgenhygiene und dem Anziehen hilft, einkaufen geht, Mittagessen kocht, nachmittags häufig einen gemeinsamen Ausflug organisiert, Abendessen zubereitet und ihren Mann ins Bett bringt. «Die grösste Herausforderung sind die Abende. Albert möchte nicht ins Bett gehen und bis ich ihn soweit habe, braucht es viel Überzeugungsarbeit. Ich muss alles fünf bis sieben Mal wiederholen», sagt sie. «Er fragt mich ständig, wieso er jetzt etwas Bestimmtes tun müsse.» Organisiert Rosmarie Rütsche keine Ausflüge, würde ihr Mann stundenlang dieselbe Seite im Pfarrblatt lesen. Auch redet er kaum noch. «Für mich ist das sehr schwer. Früher waren wir gemeinsam so häufig unterwegs.» Ihr Mann, der als Pöstler gearbeitet hatte, liebte Ausflüge und Velotouren. Und gemeinsam gingen sie regelmässig in die Sauna.

Zu sich selbst Sorge tragen

Rosmarie Rütsche ist eine von 600‘000 Personen in der Schweiz, die gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) Betreuungsaufgaben übernehmen. Das entspricht beinahe acht Prozent der Bevölkerung. Betreuende Angehörige gibt es in allen sozialen Schichten sowie in allen Altersschichten – von Kindern bis hochaltrigen Personen. Männer und Frauen betreuen laut BAG fast gleich häufig. Frauen engagieren sich allerdings intensiver und mit einem etwas grösseren Zeitaufwand pro Woche. Auf nationaler Ebene gibt es verschiedene Massnahmen, um die Situation der betreuenden Angehörigen zu verbessern. Nebst dem Förderprogramm «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017-2020» wurde etwa ein interkantonaler Tag der betreuenden Angehörigen lanciert. In diesem Jahr findet er am 30. Oktober statt. Ziel des Tages ist es, den betreuenden Angehörigen für ihr Engagement Danke zu sagen und der Öffentlichkeit und Politik mit verschiedenen Aktionen die Realität der geleisteten privaten Unterstützungs- und Pflegearbeiten vor Augen zu führen.

Ein weiterer zentraler Aspekt dabei ist, wie sich betreuende Angehörige selbst etwas Gutes tun können. Gesundheitsförderung Schweiz hat dafür die Broschüre «Mir selber und anderen Gutes tun» veröffentlicht, die über das Amt für Gesundheitsvorsorge bestellt werden kann:

Die Broschüre beinhaltet nebst Infos zu Unterstützungsangeboten, Vereinen, Institutionen und Notfallnummern auch zehn Impulse wie «In Bewegung bleiben», «Um Hilfe fragen» oder «Mit anderen sprechen». Diese zeigen auf, wie man im Alltag zu sich selbst Sorge tragen kann.

Soziales Umfeld, Gespräche und Besuche

Wie wichtig Wertschätzung für all die geleistete Arbeit ist, betont auch Rosmarie Rütsche. Sie erhält sie unter anderem durch Rückmeldungen aus der Nachbarschaft oder von ihrer Familie. «Häufig sagen mir andere Menschen, es sei wahnsinnig, was ich leiste», sagt sie. «Regelmässig wird mir aber auch nahegelegt, dass ich mir mehr Unterstützung holen soll. Ich hatte bislang allerdings immer das Gefühl, dass es schon immer irgendwie gehen wird.» Durch eine Nachbarin, die ihren eigenen Mann ebenfalls gepflegt hatte, erfuhr Rosmarie Rütsche vom Tagesheim Notker und meldete ihren Mann an. Zum Tagesheim begleitet sie ihn allerdings nicht, zu schwer fällt ihr der Moment der Trennung. Umso wichtiger sei das soziale Umfeld. Sie sagt: «Spaziergänge mit meiner Nachbarin und ihrem Hund, Gespräche oder Besuche meiner Enkelin bringen mich auf andere Gedanken.»

Unterstützung für betreuende Angehörige

Angebote für pflegende und betreuende Angehörige im Kanton St.Gallen:
zepra.info/beratungsstellen > betreuende /pflegende Angehörige; 65+

Tipp: Geben Sie bei der Suche zusätzlich Ihren Wohnort an. So finden Sie die Angebote der für Sie zuständigen Stellen.

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