Dauererreichbarkeit belastet Mitarbeitende

In der modernen Arbeitswelt sind wir ständig erreichbar, fast ununterbrochen online und damit praktisch rund um die Uhr ansprechbar. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Privatleben verschwimmen zunehmend, und die ständige Unterbrechung bei der Arbeit ist zum Normalfall geworden. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung – für die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit des Einzelnen, aber auch für den wirtschaftlichen Erfolg? Und mit welchen Strategien können wir die Vorteile der mobilen Kommunikation und der neuen Medien nutzen, ohne dass sich die ständige Erreichbarkeit negativ auf die Produktivität auswirkt? Diesen Fragen ging die Weiterbildungsveranstaltung des Forums für Betriebliches Gesundheitsmanagement Ostschweiz (Forum BGM Ostschweiz) nach, die am Montag, 14. September 2015 in Rorschach stattfand. Rund 60 Führungskräfte und Personalverantwortliche aus Ostschweizer Betrieben und der Verwaltung nahmen an der Tagung teil.

Annette Nitsche vom Forum BGM Ostschweiz sagt: «Wir möchten auf die Belastungen des modernen Arbeitsumfeldes aufmerksam machen und den Betrieben Möglichkeiten für einen bewussten Umgang mit den neuen Kommunikationsmitteln aufzeigen. So können Führungskräfte diese Belastungen gezielt reduzieren – für sich selber und für Ihre Belegschaft.»

Gastgeber der Veranstaltung war die Würth Group, welche mit ihren Räumlichkeiten im Würth Haus in Rorschach der Veranstaltung einen würdigen Rahmen gab. Moderiert wurde die Tagung von Felix Mätzler, Leider der Medienschule St.Gallen.

Stress und Frustration bei den Mitarbeitenden

Im ersten Teil widmete sich die Tagung den gesundheitlichen Auswirkungen von Dauererreichbarkeit und ständigen Unterbrechungen im Arbeitsprozess. Als Referent eingeladen war Curdin Sedlacek von Conaptis, der langjährige Erfahrung hat in der Beratung von Unternehmen bei der Einführung, Umsetzung und Optimierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Eines seiner Schwerpunktthemen sind die Herausforderungen des modernen Arbeitsumfeldes – Stress, Life Domain Balance und Umgang mit Arbeitsunterbrechungen.
Herr Sedlacek sagte einleitend: «Vieles ist schneller geworden und kann von überall her erledigt werden. Neue Technologien ermöglichen und begünstigen diese Entwicklung. Die Kombination aus ‚immer‘, ‚überall‘ und ‚schnell‘ belastet uns - wir erleben Stress. Umfragen beweisen eindrücklich die Zunahme an belasteten, gestressten Personen.»

In seinem Referat zeigte er auf, dass wir im modernen Arbeitsumfeld zwar viele technische Hilfsmittel zur Verfügung haben, diese aber auch zu ständigen Unterbrechungen führen: «Damit gehen wir noch nicht so gekonnt um wie mit den Technologien selber. Wir lassen uns zu sehr davon ablenken, beginnen verschiedene Aufgaben gleichzeitig, ohne andere zuerst zu beenden – das berühmte Multitasking. Dadurch sind wir aber nicht effizienter, sondern werden unkonzentriert, unproduktiv und machen Fehler. Die Forschung hat mittlerweile eindrücklich belegt, dass Unterbrechungen und Multitasking oft zu Stress und Frustration führen.»

Bewusster Umgang mit Kommunikationsmitteln

Sind die neuen technologischen Möglichkeiten also als schlechte Helfer zu bezeichnen? Das würden die Meisten von uns verneinen. Arbeit und Privatleben werden dank der neuen Technologien auch vereinfacht. Vielmehr gehe es darum, wie wir mit den vorhandenen Hilfsmitteln umgehen. Diesen Bedarf haben heute viele Mitarbeitende und Organisationen erkannt. Auf der individuellen Ebene betonte Curdin Sedlacek zudem, wie wichtig Erholungsphasen sind: „Wir müssen wieder lernen, uns gut und aktiv von den Belastungen des Arbeitsumfeldes zu erholen.»

Darauf wies auf Thomas Zeeck hin, der sich für das Praxisbeispiel den Fragen des Moderators Felix Mätzler stellte. Herr Zeeck ist heute Leiter Key Account Management bei Mercedes-Benz Schweiz AG, und hat davor einen grossen Garagenbetrieb geleitet. Im Oktober 2013 erlebte der Familienvater er einen Zusammenbruch – die Diagnose: Erschöpfungsdepression. Es folgten ein mehrwöchiger Klinikaufenthalt und in Folge die berufliche Neuausrichtung. Er berichtete, welchen Anteil die dauernde Erreichbarkeit an seiner Erkrankung hatte und welche präventiven Massnahmen er für sich getroffen hat: «Früher war ich für meinen Arbeitgeber auch am Wochenende erreichbar. Das ist heute anderes – ich habe aus meiner Erfahrung gelernt, wie wichtig ein bewusster Umgang ist. Mein Geschäftstelefon bleibt nun ausserhalb der Arbeitszeit ausgeschaltet, meine private Nummer gebe ich auch nur noch privat weiter. Und auch während meiner Freizeit schaffe ich mir heute bewusst Zeiten, in denen ich gar nicht erreichbar bin. Ich konzentriere mich heute viel mehr auf das, was ich gerade tue – ob das nun bei der Arbeit ist oder in der Freizeit.»

In diesem Sinne konnten die Teilnehmenden im Anschluss in vier Parallelworkshops Themen vertiefen wie «Arbeitsunterbrechungen unter der Lupe – Mehr Zufriedenheit dank ungestörtem Arbeiten», «Unterbrechung? Nein danke! Ungeplanten Arbeitsunterbrechungen zuvorkommen», «Zeit haben heisst nein sagen – Wie Sie ständige Störungen und Unterbrüche vermeiden können» oder «Work-Life Balance – Im Gleichgewicht bleiben».

Umgang der Ostschweizer Betriebe mit neuen Medien

Im Vorfeld der Veranstaltung hat das Forum BGM Ostschweiz eine Umfrage bei seinen Mitgliedern durchgeführt zum Umgang mit neuen Medien und den Belastungen des modernen Arbeitsumfeldes. Rund 50 Betriebe aus der Region haben an der Umfrage teilgenommen. Fabrina Cerf von der Geschäftsstelle des Forums BGM präsentierte die Ergebnisse: «Unterbrechungen im Arbeitsprozess kommen laut den Betrieben häufig vor und werden auch als Problem wahrgenommen, da sie sich negativ auf die Produktivität auswirken. Auch die Dauererreichbarkeit ist ein Thema, hier sehen die Betriebe aber weniger Handlungsbedarf – wobei Dauererreichbarkeit natürlich eine Ursache von Unterbrechungen ist. Die Ergebnisse zeigen, dass nur sehr wenig Betriebe gezielt Massnahmen treffen, um ihre Mitarbeitenden vor den Belastungen durch Dauererreichbarkeit und ungeplanten Arbeitsunterbrechungen zu schützen.»

Die Umfrage hat zudem ergeben, dass soziale Netzwerke (z.B. Facebook oder Xing) und Messaging-Anwendungen (wie Skype oder Lync) bei den Ostschweizer Betrieben im Arbeitsalltag nur vereinzelt verwendet werden. Die private Nutzung solcher Anwendungen während der Arbeitszeit ist jedoch in der Regel erlaubt bzw. nicht eingeschränkt - und in vielen Fällen nicht explizit geregelt. Der Grossteil der firmeninternen Kommunikation wird laut den Umfrageergebnissen weiterhin über Email und Telefon abgewickelt. Fabrina Cerf vom Forum BGM betont: «Diese führen jedoch genauso zu Unterbrechungen – und mit den neuen Medien sind noch weitere Quellen für Unterbrechungen dazugekommen. Die Mehrheit unserer Mitglieder gibt zudem an, dass Ihre Mitarbeitenden ausserhalb der Arbeitszeiten Zugriff haben auf firmeninterne Daten und Emailkonten - und diese Möglichkeit auch nutzen. Der Umgang mit Erreichbarkeit ist in vielen Betrieben kaum geregelt. Aus Sicht der betrieblichen Gesundheitsförderung braucht es im Umgang mit Erreichbarkeit und Unterbrechungen jedoch klare Spielregeln für einen bewussten Umgang. Hier sehen wir noch viel Handlungsbedarf.»

Weitere Informationen zum Forum BGM Ostschweiz und Unterlagen zur Veranstaltung:
www.bgm-ostschweiz.ch

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