Einfluss der Pandemie auf das Suchtverhalten

Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser tägliches Leben drücken vielen Menschen aufs Gemüt. Berufliche und finanzielle Unsicherheiten, Sorgen und Ängste, schwere Krankheitsverläufe im persönlichen Umfeld oder die sozialen Einschränkungen sind eine grosse Belastung. Diese Umstände lassen vermuten, dass aktuell vermehrt zu Alkohol, Tabak oder anderen Suchtmitteln gegriffen wird, um den damit verbundenen Stress zu bewältigen. So dämpft beispielsweise Alkohol die Erregbarkeit bestimmter Nervenzellen und mindert kurzzeitig die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol – eine willkommene «Versuchung» in Stress- und Belastungssituationen.

Dementsprechend haben auch die Präventionsstellen bereits früh mit einer Zunahme von Suchtproblemen während der Pandemie gerechnet. Aktuelle Daten und Erfahrungsberichte zeigen aber, dass die Erwartung einer generellen Zunahme von Suchtproblemen nicht der Realität entspricht. So unterschiedlich die Belastungen, die Betroffenheit und persönlichen Umstände, so differenziert sind auch die Auswirkungen der Pandemie auf das Suchtverhalten.

Wer ist besonders gefährdet?

Zusätzliche Belastungsfaktoren erschweren im Allgemeinen die Selbstkontrolle oder den Ausstieg aus einer Sucht. Dementsprechend sind Menschen, die bereits in der Vergangenheit Mühe hatten, ihren Suchtmittelkonsum, ihre Online-Aktivitäten oder das Spielen um Geld zu kontrollieren, während der Pandemie besonders gefährdet. Auch bei Personen und Gruppen, die stark von der Pandemie betroffen sind, wird von einem erhöhten Risiko ausgegangen. Sucht Schweiz schreibt dazu im «Schweizer Suchtpanorama 2021»:

Die Pandemie begünstigt Motive wie die Flucht vor Alltagssorgen oder Stress – und damit Beweggründe, welche die Entwicklung einer Abhängigkeit oder eines problematischen Konsums fördern. Von besonderen Risiken sind heute zusätzlich jene Personen betroffen, die ganz direkt mit COVID-19 und den Auswirkungen konfrontiert oder einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind: das Gesundheitspersonal, das Personal im Transportbereich oder im Verkauf, Schwerkranke, Personen, welche ihren Angehörigen nicht beistehen konnten und Menschen, welche wirtschaftliche Konsequenzen der Pandemie tragen müssen.

Positive und negative Auswirkungen

Für gewisse Menschen scheinen die sozialen Einschränkungen aufgrund der Pandemie wiederum eine positive Auswirkung auf den persönlichen Suchtmittelkonsum zu haben. Gesundheitsförderung Schweiz hält im Arbeitspapier 52 zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung fest, dass bei einem Grossteil der Bevölkerung der Konsum von Suchtmitteln während dem ersten Shutdown 2020 gesunken ist. Bei Jugendlichen wird der reduzierte Suchtmittelkonsum unter anderem damit erklärt, dass sie weniger Zeit mit ihren Peers verbringen konnten. Je nach Fokus und Personengruppe gilt es aber zu differenzieren. So habe beispielsweise die Studie von M.I.S Trend einen signifikanten Anstieg des Zigarettenkonsums im Shutdown bei erwachsenen Raucherinnen und Rauchern gezeigt. Die Befürchtung, dass vermehrt Schlaf- und Beruhigungsmittel konsumiert wurden, habe sich dagegen nicht bestätigt.

Stress hat im Laufe der Pandemie zugenommen

Die statistischen Grundlagen sollten aber mit Vorsicht zitiert werden. So beziehen sich die meisten der vorhandenen Daten auf die Situation während und nach dem ersten Shutdown im Jahr 2020. Die Umstände haben sich aber während der Pandemie fortlaufend und schnell verändert. Für eine abschliessende Bewertung der Auswirkungen von Corona auf das Suchtverhalten ist es daher sicher noch viel zu früh. Verschiedene Studien weisen beispielsweise darauf hin, dass der individuell empfundene Stress und die persönlichen Belastungen während der zweiten Corona-Welle deutlich zugenommen haben (beispielsweise die «Swiss Corona Stress Study» der Universität Basel).

Frühzeitig Hilfe holen

Klar ist: Einmal mehr sind Personen mit wirtschaftlichen Sorgen, mit psychischen Problemen oder geringer sozialer Unterstützung ganz besonders gefährdet. Wichtig ist, dass Betroffene rasch Unterstützung erhalten. Bei persönlichen Schwierigkeiten wird leider oft und viel zu lang geschwiegen. Die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, wie Homeoffice oder die Limitierung privater und öffentlicher Treffen, erschweren die Früherkennung und Möglichkeiten zur Intervention zusätzlich. Sucht Schweiz appelliert deshalb an Betroffene, Angehörige und Arbeitgebende, frühzeitig Hilfe zu holen – bevor sich problematisches Verhalten verfestigt.

Gerade jetzt ist es besonders wichtig, aufeinander zu achten. Wachsam bleiben und Fürsorge zeigen geht auch mit sozialer Distanz. Bei Bedarf gibt es viele Anlaufstellen, die Hilfe bieten.

Unterstützungsangebote finden:

Bundesamt für Gesundheit:

Kanton St.Gallen:

Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit (inkl. Thema Sucht):

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