Postpartale Depression: Regionales Netzwerk Wil

Ein Kind zu bekommen ist für die Eltern in der Regel mit viel Freude, Stolz und Liebe für das neue Familienmitglied verbunden. Gleichzeitig berichten viele über Belastungen, gerade in den ersten Monaten: Ein Neugeborenes beansprucht viel Zeit, Aufmerksamkeit und Energie und kann das Leben seiner Eltern auf den Kopf stellen. Daher sind psychische Probleme nach einer Geburt keine Seltenheit. Den bekannten «Baby Blues» erleben bis zu 80 Prozent der Gebärenden. Dieser wird durch die Hormonumstellung, die Erschöpfung durch die Geburt und die anstrengenden ersten Tage und Nächte ausgelöst und klingt in der Regel nach wenigen Tagen von selbst wieder ab. Bei jeder sechsten bis zehnten Frau hingegen entwickelt sich eine postpartale Depression – eine ernsthafte Erkrankung, die schnell einer professionellen Behandlung bedarf.

Vernetzung von Fachpersonen

Im Kanton St.Gallen laufen verschiedene Anstrengungen, um eine frühe Unterstützung der betroffenen Frauen, ihrer Kinder und ihrer Angehörigen zu erreichen. Neben Weiterbildungen für Fachpersonen und Öffentlichkeitsarbeit geht es dabei vor allem um die Vernetzung von verschiedenen Fachpersonen, die mit betroffenen Frauen in Kontakt kommen.

Rund um das Kompetenzzentrum für Gynäkopsychiatrie am Psychiatrie-Zentrum in Heerbrugg hat sich in den vergangenen Jahren ein erstes «Peripartales Unterstützungsnetz» gebildet. Im Netzwerk tauschen sich Fachstellen und Fachpersonen aus und arbeiten teilweise eng zusammen. Das Netzwerk hat bereits einen gemeinsamen Informationsflyer entwickelt und beteiligt sich an Weiterbildungen für Fachpersonen. In der Ostschweiz werden nun weitere regionale Netzwerke aufgebaut. Am Donnerstag, 26. Oktober 2017, fand eine Kick-off Veranstaltung für ein Netzwerk in der Region Wil statt.

An der Veranstaltung nahmen rund 50 Fachpersonen aus der Region teil. Jacqueline Binswanger, Leiterin des Kompetenzzentrums für Gynäkopsychiatrie der kantonalen Psychiatrieverbunde Nord und Süd, führte die Teilnehmenden in das Thema ein. Zur Illustration wurde ein eindrücklicher Erfahrungsbericht einer betroffenen Frau vorgestellt, vorgelesen von der behandelnden Ärztin. Gastgeber Frank Liedke, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe der Spitalregion Fürstenland Toggenburg, sprach in Bezug auf die postpartale Depression von einem «Tabuthema»: Dies, da psychische Erkrankungen immer noch mit einem Tabu behaftet sind. Bei der postpartalen Depression kommen zusätzlich die hohen Erwartungen an das glückliche Ereignis dazu: Viele Betroffene stossen auf Unverständnis, erkennen selber nicht, dass etwas nicht stimmt oder schämen sich für ihre Gefühle. Das verzögert oft eine rechtzeitige Behandlung, teils mit schwerwiegenden Folgen.

Im Anschluss an den fachlichen Teil sprach Jürg Engler vom Ostschweizer Forum für Psychische Gesundheit über die bisherigen gemeinsamen Aktivitäten aus dem Projekt «Mutterglück!?» und zeigte auf, was durch die Zusammenarbeit und den Austausch in regionalen Netzwerken bewirkt werden kann. Verschiedene beteiligte Fachpersonen stellten die Erfahrungen aus dem Rheintaler Netzwerk vor. Anschliessend wurden gemeinsam die Ziele, Rollen, Erwartungen und die Möglichkeiten der Beteiligung für das neue Netzwerk diskutiert.

Frühzeitige Behandlung ist entscheidend

Ziel der Netzwerkbildung ist es, möglichst viele betroffene Familien frühzeitig unterstützen zu können. Die Wichtigkeit einer frühzeitigen, professionellen Behandlung wurde an der Veranstaltung in Wil mehrfach betont. Dies, da unter einer postpartalen Depression nicht nur die betroffenen Mütter leiden, sondern auch die Partnerschaft, das Umfeld und insbesondere die Kinder. Diesen Punkt betonte vergangenen Donnerstag in Wil insbesondere Daniel Bindernagel, Leitender Arzt der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste St.Gallen, in seinem Inputreferat.

Betroffene Frauen können sich oft nicht über ihr Kind freuen, sind traurig, erschöpft, antriebslos oder auch gereizt und unruhig. Viele begleitet die ständige Sorge, ihr Baby nicht richtig zu versorgen oder dem Kind gegenüber die Beherrschung zu verlieren und ihm etwas anzutun. Auch Väter können nach der Geburt ihres Kindes unter ähnlichen Symptomen leiden. Die Erkrankung erschwert es, auf das Baby einzugehen und eine Beziehung aufzubauen. Das kann die gesunde Entwicklung des Kindes gefährden. Mit fachlicher Beratung und Therapie stehen die Chancen jedoch gut, eine Erkrankung schnell in den Griff zu bekommen. Je früher professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird, desto eher kann die Behandlung zum Erfolg führen.

Weitere Informationen und Hilfsangebote:
www.forum-psychische-gesundheit.ch/mutterglueck

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