Ständig erreichbar und dauernd gestört

Die ständige Erreichbarkeit ermöglicht eine flexiblere Arbeitsgestaltung. Einige meinen auch, dass sich dadurch Beruf und Familie besser vereinbaren lassen. Andere wiederum fühlen sich unter Druck und gestresst, wenn sie dauernd erreichbar sind. Als besonders belastend empfunden wird die Erreichbarkeit an Wochenenden oder im Urlaub. Es ist sinnvoll, die diesbezüglichen Erwartungen mit den Mitarbeitenden zu klären und klare Regelungen hinsichtlich der Erreichbarkeit in der Freizeit zu treffen.

Die Mär vom Multitasking

Moderne Kommunikationsmittel, zum Beispiel Emails, führen zu unbeabsichtigten Arbeitsunterbrechungen. Denn viele sind der Meinung, sie müssten auf dem Smartphone eintreffende Emails sofort lesen oder gar beantworten. Sie tun dies während Sitzungen oder wenn sie gleichzeitig andere Aufgaben bearbeiten.

Es ist aber eine Illusion gleichzeitig zwei unterschiedlichen Aufgaben seine volle Aufmerksamkeit schenken zu können. Musik hören und dabei den Gedanken freien Lauf lassen – das mag noch funktionieren. Wer aber ein Telefonat führt und gleichzeitig mitschreibt, tut nicht wirklich beides zur selben Zeit. Vielmehr wechselt das Hirn rasant zwischen beiden Tätigkeiten hin und her. Das Ergebnis: Man bekommt nur die Hälfte mit.

Multitasking steigert angeblich die Effizienz und Produktivität, tatsächlich führt die gleichzeitige Arbeit an mehreren Aufgaben jedoch zu einem erheblichen Konzentrations- und Leistungsverlust. Unvorhergesehene Unterbrechungen in der Arbeit sind Belastungsfaktoren, welche die Aufgabenausführung behindern – insbesondere dann, wenn sie häufig auftreten. Sie führen zu Zeitverlust und Zusatzaufwand.

Email-Check am besten anfangs Nachmittag

Es gibt aber auch Mittel und Wege, unnötige Unterbrechungen zu vermeiden oder sich mehr Freiraum für konzentriertes Arbeiten zu schaffen. Wenn wir rein technisch schon ständig erreichbar sind, können wir uns doch wenigstens angewöhnen, die Mailbox nur zu gewissen Zeiten zu checken - sich also eine gewisse 'Email-Hygiene' aufzuerlegen und damit zumindest Unterbrechungen durch eingehende Nachrichten zu vermeiden.

Fast alle Menschen haben eine sehr ähnliche Leistungskurve. Sie steigt am Morgen steil an, um bis gegen Mittag ihren höchsten Wert zu erreichen. Danach fällt sie rapide bis in den Nachmittag hinein ab. Ab etwa 15:00 Uhr steigt sie dann wieder kontinuierlich bis zum Abend an. Mit dem Wissen um die Leistungskurve können Arbeiten effektiver über den Tag verteilt werden. Wichtige Arbeiten, welche die volle Konzentration verlangen, erledigt man demnach optimalerweise vormittags. Wenig anspruchsvolle Arbeiten, wie die Pflege der Mailbox zum Beispiel, sind sinnvollerweise auf den frühen Nachmittag zu planen (postprandiale Krise). Die Kontrolle, ob wichtige Nachrichten eingegangen sind, lässt sich auf den Arbeitsbeginn und dann wieder auf den späten Nachmittag beschränken.

Sich nicht ständig durch eingehende Emails ablenken zu lassen, könnte sich wirklich lohnen. Denn Wissenschaftler am Londoner King’s College wollten herausfinden, wie leistungsfähig die Empfänger hereinströmender E-Mails bleiben. Sie stellten drei Gruppen dieselben mittelschweren Aufgaben. Eine Gruppe bearbeitete gleichzeitig Emails, einer zweiten Gruppe verabreichten sie Marihuana und die Kontrollgruppe blieb nüchtern und erhielt keine Emails. Welche Gruppe schnitt am schlechtesten ab? Die Gruppe mit Marihuana schnitt besser ab als die Gruppe mit Emailbearbeitung, wenn auch deutlich schlechter als die Gruppe ohne Emails oder Marihuana!

Unternehmen reagieren

Mit welchen Verhaltensregeln können Unternehmen ihre Mitarbeitenden von gewissen Unterbrechungen verschonen? Internationale Konzerne haben das Problem erkannt und auch Massnahmen dagegen getroffen: Der Chemiekonzern BASF zum Beispiel verordnet seinen Mitarbeitern eine 'Email-Diät' und plant mit verschiedenen Aktionen die Mitarbeitenden dazu anzuhalten, ihr Email-Verhalten kritisch zu hinterfragen: «Wann ist es adäquat auf den Allen-antworten-Button zu klicken und wann besser nicht?» Oder: Ein Telefonat bringt oft mehr als hin- und hergeschriebene Emails.

Der Chemiekonzern ist mit seinen Bemühungen, die digitalen Postfächer seiner Mitarbeitenden zu verschlanken, nicht allein. Bei Volkswagen hat der Betriebsrat vor einigen Jahren ein Email-Verbot durchgesetzt. Mitarbeitende sollen nach 18 Uhr keine Mails mehr auf ihren Smartphones empfangen.

Daimler ging sogar noch einen Schritt weiter und sorgte mit einer drastischen Massnahme für Aufsehen: Der Automobilkonzern löscht automatisch alle Nachrichten, die während des Urlaubs der Empfängerin oder des Empfängers eingehen. «Mail on Holiday», so der Name des neuen Programms, steht allen Beschäftigten zur Verfügung. Eingehende Emails während des Urlaubs werden automatisch gelöscht. Dem Absender wird eine Abwesenheitsnotiz, die über die Löschung und die zuständige Urlaubsvertretung informiert, zugeschickt. Mitarbeitende sollen so nicht bereits im Urlaub in Versuchung geraten, dienstliche Email-Nachrichten zu bearbeiten. Lösungen dieser Art sind auch Ausdruck einer wertschätzenden Haltung den Mitarbeitenden gegenüber. Sie sollen in der Freizeit und schon gar nicht während ihren wohlverdienten Ferien durch geschäftliche Emails gestört werden und auch nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub nicht durch die übervolle Mailbox gleich wieder gestresst und demotiviert werden.

Lesen Sie auf 20 Minuten online vom 22.01.2015:
«Reden ist out - 70 Prozent mailen Kollegen im Büro»

Bild: Otmar Winterleitner, dreamstime

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